Beurteilung einer Steuerforderung nach Ablauf der Verjährungsfrist

Im Februar erließ ein erweiterter Spruchkörper des Obersten Verwaltungsgerichtes eine Entscheidung (Nr. 1 Afs 231/2022-44 vom 05.02.2025), die in die bisher nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes festgelegte Verwaltungspraxis der Finanzbehörden eingreift. Infolge dieser Änderung ist zu erwarten, dass mehr Steuerpflichtige vom Steuerverfahren auf das Schadenersatzverfahren verwiesen werden, was für sie eine Verlängerung des gesamten Verfahrens und höhere Kosten für die Wahrnehmung ihrer Rechte bedeutet. Möglicherweise wird dies auch zu einer höheren Arbeitsbelastung der Zivilgerichte führen, die über Entschädigungsstreitigkeiten entscheiden. Es gibt jedoch auch einen Aspekt der Feststellungen des Obersten Verwaltungsgerichts, der einigen Steuerzahlern helfen wird.

 

Die erste Schlussfolgerung der erweiterten Kammer: "Nach der Abgabenordnung kann eine Steuer nicht durch Versäumnis nach Ablauf der Verjährungsfrist erhoben werden."

In der Tat ist die erste Schlussfolgerung als solche nicht völlig neu - die erweiterte Kammer hat sich lediglich zwischen zwei gegensätzlichen Meinungen entschieden, die in letzter Zeit von verschiedenen gerichtlichen Kammern vertreten worden sind. Die Notwendigkeit, die Rechtsprechung zu vereinheitlichen, war schließlich der gesetzliche Grund, warum die erweiterte Kammer überhaupt zusammengetreten ist.

In dieser ersten Frage interpretierte das Gericht die Folgen des inzwischen älteren Urteils des Verfassungsgerichts (Az. I. ÚS 3244/09 vom 10. März 2009).2011), das damals vereinfachend besagte, dass, wenn Gegenstand eines Steuerfestsetzungsverfahrens eine Forderung eines Steuersubjekts ist (typischerweise eine Forderung wegen eines übermäßigen Abzugs der Mehrwertsteuer ) und dieses Verfahren nicht innerhalb der Verjährungsfrist für die Steuerfestsetzung durch einen rechtskräftigen Steuerbescheid endet, das Steuersubjekt automatisch Anspruch darauf hat, das zu erhalten, was es in seiner Steuererklärung geltend gemacht hat (d.h. was es behauptet hat).

Das vorgenannte Urteil des Verfassungsgerichts bezog sich auf ein Verfahren nach dem inzwischen ungültigen Steuerverwaltungsgesetz (gültig und wirksam bis zum 31. Dezember 2010). Das Verfassungsgericht erklärte jedoch ausdrücklich, dass seine Schlussfolgerungen auch für Steuerverfahren nach der Abgabenordnung (Nr. 280/2009 Slg.) gelten sollten, die heute noch gültig und wirksam ist. So wurde das Urteil verstanden und interpretiert. Die Generalfinanzdirektion hat daraufhin eine Methodik für die Steuerbehörden herausgegeben, die die oben genannte Schlussfolgerung in die Praxis umsetzt und die notwendigen internen Prozesse für ihre Anwendung einrichtet.

Die Große Kammer des Obersten Verwaltungsgerichts hat nun jedoch interpretiert, dass diese Schlussfolgerung nicht zutrifft und dass nach der geltenden Abgabenordnung die Steuer nach Ablauf der Veranlagungsfrist überhaupt nicht mehr festgesetzt werden kann, und zwar nicht einmal rein zu Gunsten des Steuerpflichtigen.

Die Große Kammer begründet dies mit der unterschiedlichen Verfahrenstechnik der so genannten "konkludenten" Steuerfestsetzung, womit sie natürlich Recht hat. Dennoch stellt das Ergebnis eine 180-Grad-Wende zur gängigen Verwaltungspraxis dar. Bereits 2011, als das Urteil des Verfassungsgerichtshofs erging, war klar, dass sich die Verfahrenstechnik der sogenannten "impliziten" Steuerfestsetzung nach der Abgabenordnung von der Methode der Steuerfestsetzung nach dem Steuerverwaltungsgesetz unterscheidet, und zweifellos hat der Verfassungsgerichtshof seine oben genannten Schlussfolgerungen in diesem Sinne gezogen. Diese Auffassung wurde durch die Rechtsprechung des Obersten Verwaltungsgerichts bestätigt.

 

Die zweite Schlussfolgerung der erweiterten Kammer: "Die Steuer kann im 11. Jahr der Verjährungsfrist zugunsten des Steuerpflichtigen festgesetzt werden".

Gleichzeitig korrigierte die Große Kammer ihre erste Schlussfolgerung mit einer zweiten Schlussfolgerung, die besagt, dass, wenn ein Steuerpflichtiger im letzten Jahr der zehnjährigen Verjährungsfrist für die Steuerfestsetzung eine ergänzende Steuererklärung für eine niedrigere Steuer einreicht, diese Frist (die ansonsten grundsätzlich nicht überschritten werden kann) um ein Jahr verlängert wird, um dem Steuerverwalter Zeit zu geben, die in dieser Erklärung vorgebrachten Behauptungen zu prüfen und den Anspruch des Steuerpflichtigen auf eine Steuerermäßigung zu gewähren oder zu widerlegen.

Dies ist eine sehr revolutionäre Schlussfolgerung, da das Gericht in diesem Fall die Analogie des Gesetzes nutzte, um die 10-jährige Verjährungsfrist zu verlängern, die ansonsten nicht ohne sehr klare und ausdrückliche Rechtsvorschriften verlängert oder unterbrochen werden kann. Gleichzeitig betonte es jedoch, dass die Folgen dieser Verlängerung nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen sein dürfen, d. h. seine Steuerschuld darf während dieses verlängerten Zeitraums nicht erhöht werden.

Einigen Expertenmeinungen zufolge öffnet diese zweite Schlussfolgerung möglicherweise die Büchse der Pandora für endlose Verlängerungen der Steuerveranlagungsfrist, denn wenn ein Grund für eine "außergewöhnliche" Verlängerung im Jahr 10 gefunden werden kann (warum überschreiten wir die ansonsten nicht überschreitbare Frist), kann dann nicht ein ebenso zwingender Grund im Jahr 11 und danach gefunden werden?  Diese Schlussfolgerung ist auch deshalb interessant, weil die Frage dem erweiterten Richterkollegium überhaupt nicht gestellt wurde. Die Schlussfolgerung wurde also über das hinaus gezogen, womit sich die erweiterte Kammer befassen sollte. Einige Experten leiten daraus ab, dass die zweite Schlussfolgerung weniger verbindlich ist.

 

Wiederholte Diskontinuität der Rechtsauslegung

Es wird nun entscheidend sein, wie der Verfassungsgerichtshof, falls er mit der Frage befasst wird (was wahrscheinlich ist, da die erste Schlussfolgerung gegen die Steuerzahler geht), beide Schlussfolgerungen bewerten wird. Meines Erachtens ist es durchaus möglich, dass der Verfassungsgerichtshof zumindest die oben erwähnte erste Schlussfolgerung der Erweiterten Kammer des Obersten Verwaltungsgerichts aufhebt, wie er es ursprünglich in seinem Urteil von 2011 getan hat.
 
Ich halte die Rechtsunsicherheit über das Ergebnis für ein größeres Problem als die Frage, wie das Ganze am Ende ausgehen wird. Wir haben in diesem Bereich schon einmal eine Änderung der Rechtsauffassung erlebt. Es bleibt also die Frage, ob das Urteil der erweiterten Kammer nun die endgültige Rechtsauffassung ist oder ob es vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben wird.

Leider ist dies nicht der einzige Fall im Steuerwesen, in dem sich die Rechtsauffassung der Justiz in einem solchen Ausmaß entwickelt und ändert, dass es zu unvermeidlichen "Drehungen und Wendungen" in der Verwaltungspraxis der Behörden kommt, die ihr eigentlich folgen sollten. Ich halte Rechtsunsicherheit und wiederholte Änderungen der von den Gerichten festgelegten Rechtspraxis seit langem für sehr problematisch.
 

Warum hat der oben erwähnte Beschluss des Obersten Verwaltungsgerichts unter Steuerexperten so viel Aufsehen erregt?

Selbst bei den Schlussfolgerungen des Urteils des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2011 (das die Veranlagung der Steuer nach Ablauf der "unüberschreitbaren" Verjährungsfrist für die Veranlagung der Steuer zuließ) handelte es sich um einen rechtlich völlig unsystematischen Schritt, gegen den sich die Verwaltungsgerichte, allen voran das Oberste Verwaltungsgericht, zunächst heftig wehrten. Deshalb kam der Fall überhaupt erst vor den Verfassungsgerichtshof.
Ich gehe davon aus, dass die Schlussfolgerungen des Verfassungsgerichts eine gewisse gerechte Grundlage in dem Gedanken haben, dass die Steuerverwaltung für die ordnungsgemäße Durchführung des Steuerverfahrens verantwortlich ist, und wenn sie ein Kontrollverfahren einleitet, d.h. den Anspruch des Steuersubjekts in irgendeiner Weise bestreitet, aber anschließend nicht innerhalb einer bestimmten Frist eine endgültige Entscheidung über diesen Anspruch trifft, sollte das Steuersubjekt nicht für diesen Zustand "bestraft" werden, indem es seinen Anspruch in einem späteren Verfahren auf Schadensersatz verteidigen muss. Diese Schlussfolgerung wurde in der Verwaltungspraxis der Steuerverwaltung übernommen und umgesetzt, es wurde eine Methodik entwickelt usw. Die Verwaltungsgerichte haben dann in einer Reihe von Fällen (wenn auch nicht ausschließlich) in Übereinstimmung mit dieser Schlussfolgerung entschieden.
Das gegenteilige Urteil des ersten Urteils der Erweiterten Kammer vom Februar dieses Jahres kommt daher für Experten und Praktiker etwas überraschend, zumal es die bereits etablierte Kontinuität durchbricht. Deshalb hat es auch in der Fachwelt, u.a. bei der Steuerberaterkammer und der Juristischen Fakultät der Karlsuniversität, für heftige Diskussionen gesorgt.

In der Diskussion wurde insbesondere das Problem hervorgehoben, dass, wenn die Ansprüche des Steuersubjekts nach Ablauf der vorgegebenen Frist nicht durch eine einfache "automatische" Erklärung im Steuerverfahren gelöst werden können, ein Verfahren zum Ersatz des in Ausübung der öffentlichen Gewalt entstandenen Schadens eingeleitet werden muss (gemäß Gesetz Nr. 82/1998 Slg.). Dies bedeutet jedoch für den Steuerzahler ein viel komplexeres, langwierigeres und kostspieligeres Verfahren.

Im Falle des Schadenersatzes ist das Verfahrensverfahren durch andere Rechtsvorschriften (Gesetz Nr. 82/1998 Slg. und Zivilprozessordnung) geregelt als im Falle der Steuerverwaltung, und die Streitigkeiten werden von den allgemeinen Gerichten und nicht von den Verwaltungsgerichten entschieden. Andererseits handelt es sich jedoch inhaltlich weitgehend um eine Fortsetzung des Steuerverfahrens, mit dem die allgemeinen Gerichte jedoch nicht so erfahren sind (wie die Steuerverwaltung oder die Verwaltungsgerichte). In den Gesprächen wurden daher Bedenken hinsichtlich der Rechtsunsicherheit geäußert, z. B. inwieweit Beweise aus dem Steuerverfahren auf Verfahren vor den allgemeinen Gerichten übertragen werden oder inwieweit die Zahl der Fälle, mit denen sich die allgemeinen Gerichte befassen müssen, zunehmen wird. Letztere könnten Schwierigkeiten haben, diese zu bearbeiten, was wiederum das Problem der Länge der Gerichtsverfahren in der Tschechischen Republik im Allgemeinen verschärfen könnte.
Es stellt sich die Frage, ob sich die Befürchtungen bewahrheiten werden und ob dies angesichts der Zahl der Fälle ein großes Problem darstellen wird. Auf jeden Fall ist die Tendenz, Fälle von Steuerverfahren auf Entschädigungsverfahren zu verlagern, nichts, was die Richter des Common Law und die Steuerzahler glücklich machen wird.

In einer Reihe von Fällen stellen wir fest, dass sich die Mandanten in der Praxis gar nicht auf einen neuen Kampf mit dem Staat einlassen wollen, selbst wenn es in ihrem Fall Gründe für Schadenersatzforderungen gibt. Das ist verständlich, denn sie wollen nach dem endlosen Martyrium im Steuerverfahren weitermachen können.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Steuerprüfungen inzwischen routinemäßig ca. 3-6 Jahre zurückliegen, und in den komplexesten Fällen ist man nach Einsprüchen, einem oder zwei Gerichtsverfahren und insgesamt zehn Jahren oft überfordert, wenn man die Angelegenheit immer wieder neu aufrollen muss. Und das gilt selbst dann, wenn Sie einen Fachmann hinzuziehen, der die meisten Dinge für Sie erledigt.


Autor: Václav Čepelák